Arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) gehören mit zu den häufigsten Erkrankungen von Beschäftigten im Bereich der Pflege.
Zur Prävention von Rückenerkrankungen in der Pflege empfiehlt sich eine systematische Vorgehensweise. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung müssen die körperlichen Belastungen unter Berücksichtigung folgender Aspekte ermittelt werden:
- Art der rückengefährdenden Tätigkeiten (z. B. Liegendtransfer, Transfer im Sitzen, "Bewegen Richtung Kopfende" im Bett)
- Gewicht des Bewohner
- Häufigkeit der einzelnen Tätigkeiten
- Mobilitätsgrad bzw. Hilfsbedürftigkeit der Bewohner (Ressourcen)
- Qualifikation der Beschäftigten, z. B. in Kinästhetik oder Bobath, Anwendung der Hilfsmittel
- Größe der Bewegungsflächen zur Gewährleistung rückengerechter Arbeitsweisen (Bewohnerzimmer und Nasszelle)
- Benötigte technische und kleine Hilfsmittel, sowie die Ausstattung mit elektrisch höhenverstellbaren Betten
Aus der Analyse des Ist-Zustandes im Vergleich zum Sollzustand ergibt sich der Bedarf an Präventionsmaßnahmen.
Unter anderem beim "Bewegen Richtung Kopfende" von Bewohnern im Bett, treten ohne den Einsatz von Hilfsmitteln bzw. einer kinästhetischen Arbeitsweise zu hohe Rückenbelastungen auf. Dies gilt auch schon für “normalgewichtige” Bewohner. Die Belastungen lassen sich durch den Einsatz von geeigneten Hilfsmitteln (beim "Bewegen Richtung Kopfende" z. B. einer Gleitmatten sowie einer Antirutschmatte) stark reduzieren (Forschungsstudie, "Lendenwirbelsäulenbelastung durch Patiententransfers).
Die Gewährleistung einer rückengerechten Arbeitsgestaltung erfordert ein wirksames aufeinander abgestimmtes Konzept mit folgenden Maßnahmen:
- Festlegung der zu beschaffenden technischen und kleinen Hilfsmittel auf Grundlage der ermittelten Tätigkeiten
- Bereitstellung der benötigten Hilfsmittel dem Bedarf entsprechend in ausreichender Stückzahl und ortsnah (möglichst im Bewohnerzimmer), da nur so die tatsächliche Verwendung sichergestellt werden kann
- Planung und Durchführung der erforderlichen Schulungs- und Unterweisungsmaßnahmen zum rückengerechten Arbeiten
- Die Schulung sollte neben der Vermittlung von Arbeitstechniken/Körperhaltung auch die richtige Auswahl der Kleidung und des Schuhwerks beinhalten. Die Einführung zusätzlicher Hilfsmittel muss durch eine Unterweisung der Pflegekräfte begleitet werden. Um den sicheren Gebrauch zu gewährleisten, ist es sinnvoll, die Schulung regelmäßig zu wiederholen und die Anwendung der Hilfsmittel praktisch erproben zu lassen.
In der Hilfsmitteldatenbank werden in der Pflege und Betreuung verwendete technische und kleine Hilfsmittel für verschiedene Tätigkeiten und Bewohnergewichte aufgeführt.
Die Hilfsmittel müssen vom Arbeitgeber nicht nur zur Verfügung gestellt werden, sondern die Mitarbeiter sind auch im korrekten Umgang zu schulen. Hilfsmittel sind Medizinprodukte. Bei der Verwendung dürfen weder Beschäftigte noch Patienten oder Dritte gefährdet werden.
Das ist im Medizinproduktegesetz (MPG) und in der Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetriebV) geregelt. Welche Pflichten die Anwender von Medizinprodukten haben und was bei der hygienischen Aufbereitung zu beachten ist, wird in den Sicheren Seiten der BGW für den Bereich Humanmedizin und in der Broschüre „Medizinprodukte – Was müssen Betreiber und Anwender tun“ der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg beschrieben. Vorkommnisse mit Medizinprodukten müssen entsprechend dem Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz gemeldet werden.
Neben dem Einsatz von Hilfsmitteln können rückengerechte Arbeitstechniken, wie z. B. Arbeitsweisen aus dem Kinästhetik- oder dem Bobath-Konzept , die Rückenbelastung erheblich verringern.
Zur Verringerung der Rückenbelastung in der Pflege ist ein ganzheitliches Vorgehen erforderlich.
Für die Festlegung der Schutzmaßnahmen gilt im Arbeitsschutz grundsätzlich das sog. STOP-Prinzip, das die gesetzlich geforderte Rangfolge der Maßnahmen beschreibt:
1. Substitution
Die Beseitigung oder Minimierung der Gefährdung durch Substitution steht an erster Stelle der Maßnahmenhierarchie. Dazu gehört etwa die bevorzugte Nutzung der Ressourcen der Bewohner, ggf. unter Bereitstellung der dafür erforderlichen Hilfsmittel (z.B. selbständiges Aufrichten vom Liegen in eine sitzende Position mittels einer Bettleiter)
2. Technische Maßnahmen
Ist eine Substitution nicht möglich, folgen als nächstes die Technischen Maßnahmen. Dazu gehören etwa die Arbeitsplatzgestaltung (Barrierefreiheit, Türschwellen, Türbreiten, Bewegungsflächen usw.) und der Einsatz Technischer Hilfsmittel wie z. B. elektrisch höhenverstellbarer Betten sowie kraftbetriebenen Liftern, undAufstehhilfen.
3. Organisatorische Maßnahmen
Wenn Technischen Maßnahmen nicht verfügbar sind oder keinen ausreichenden Schutz bieten, folgen organisatorische Maßnahmen. Dazu gehören etwa die bedarfsgerechte Anpassung des Personalschlüssels, eine angepasste Dienstplangestaltung, Fortbildung und Unterweisung der Beschäftigten z. B. in rückengerechter Arbeitsweise oder der Verteilung der belastenden Tätigkeiten auf mehrere Beschäftigte.
4. Personenbezogene Maßnahmen
Die Personenbezogenen Maßnahmen stehen am Ende der Maßnahmenhierarchie und dürfen nur dann zur Anwendung kommen, wenn die vorgenannten Ebenen noch keinen ausreichenden Schutz gewährleisten. Dazu gehören etwa das Angebot von Rückenschulen oder vergleichbarer Trainings, der Einsatz kleiner Hebe- und Transferhilfsmittel oder das Tragen von Stützgürteln für die Lendenwirbelsäule.
Bei allen Maßnahmen sind gemäß §4 Arbeitsschutzgesetz der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass insbesondere moderne und bewährte Arbeitsmittel und -verfahren zum Einsatz kommen müssen.
Oftmals ist eine einzelne Maßnahme nicht ausreichend, um das Schutzziel zu erreichen, so dass eine Kombination verschiedener Maßnahmen der unterschiedlichen Hierarchieebenen notwendig ist um ein gefahrloses (in diesem Fall rückengerechtes) Arbeiten zu ermöglichen.